Resilienz statt Effizienz

Der gegenwärtige Zustrom von Flüchtlingen nach Europa droht die Europäische Union zu sprengen und stellt auch Deutschland vor enorme Herausforderungen. Dabei meine ich nicht einmal die ökonomischen Herausforderungen, die Deutschland noch eine ganze Weile lang schultern kann. Als viel gravierender erscheinen mir die politischen Verwerfungen und die gesellschaftlichen Herausforderungen. Diese haben das Potential, das Leben in Deutschland und den anderen europäischen Ländern dauerhaft zu verändern. Wie gut Deutschland und die anderen EU-Länder dies bewältigen, ist eine Frage der Resilienz.

Über Resilienz wird seit einiger Zeit in verschiedenen Wissenschaften gesprochen, allerdings nicht in der Volkswirtschaftslehre, was ich wie später darlegen werde, ein Problem ist. Allgemein versteht man unter Resilienz die Widerstandsfähigkeit eines Systems gegen äußere Störungen. In den Ingenieurswissenschaften ist damit die Fähigkeit eines technischen Systems gemeint, bei einem Teilausfall nicht vollständig zu versagen. Ein Beispiel dafür ist das Stromnetz, das beim Ausfall einzelner Kraftwerke oder auch Stromabnehmer nicht völlig kollabieren sollte. In der Soziologie wird der Begriff auf Gesellschaften und ihre Fähigkeit, externe Störungen zu verkraften, angewandt.

Wie resilient ein System ist, hängt von vier Faktoren ab (auch genannt 4-R-Modell): 1. Robustheit – der Fähigkeit des Systems, Belastungen standzuhalten, 2. Redundanz – der Fähigkeit des Systems, zentrale Aufgaben auf alternative Weisen zu bewältigen, 3. Einfallsreichtum – der Fähigkeit des Systems, kreativ auf Störungen zu reagieren, und 4. Schnelligkeit – der Fähigkeit des Systems, schnell auf Störungen zu reagieren und sich zu regenerieren. Ein Gegenbegriff zu Resilienz ist Vulnerabilität, also Verwundbarkeit. Ein System ist vulnerabel, wenn es externe Störungen nicht bewältigen kann und dann unter den Folgen des Schocks und seiner Nichtbewältigung leidet und im Extremfall kollabiert.

Der Flüchtlingszuzug ist eine äußere Störung, die die deutsche Gesellschaft in ihrer normalen Funktionsfähigkeit stört. Die Gesellschaft präsentiert sich gegenwärtig als wenig resilient gegen die Zuwanderung, ist also vulnerabel. Die massenhafte Zuwanderung, die vor etwa einem Jahr begann und dann im Laufe des Jahres stetig zunahm, hat die Behörden völlig überrascht und überfordert. Asylanträge können nicht zeitnah bearbeitet werden, und bei der unmittelbaren Versorgung der Flüchtlinge werden im großen Ausmaß ehrenamtliche Helfer benötigt. Ohne die Mithilfe der vielen Freiwilligen hätte schon die erste Versorgung der Massen im Sommer 2015 nicht funktioniert, und auch die zukünftige Integration ist ohne die Mithilfe der Bürger kaum denkbar. Dass sich viele Bürger bei der Bewältigung der Krise freiwillig engagieren, kann man sehr begrüßen und als Zeichen gesellschaftlicher Resilienz sehen. Eine Demokratie lebt auch von zivilgesellschaftlichem Engagement, das ja in politischen Sonntagsreden immer eingefordert wird. Während man im zivilgesellschaftlichen Einsatz die Resilienzkriterien Redundanz, Schnelligkeit und vielleicht auch Einfallsreichtum sehen kann, lässt sich argumentieren, dass die Gesellschaft an eine Belastungsgrenze geraten ist und sich dadurch dauerhaft verändert wird. Eine wichtige Frage ist natürlich, ob und wie die Integration der Zuwanderer gelingen wird, aber dies soll hier gar nicht thematisiert werden. Es ist mindestens genauso kritisch, dass die Bevölkerung einen Kontrollverlust der staatlichen Institutionen sieht und der Staat darauf reagieren muss.

Die Notwendigkeit der ehrenamtlichen Hilfe zeigt, dass der Staat das Problem allein nicht hätte lösen können. Auch der Einsatz der Bundeswehr bei der Versorgung der Flüchtlinge weist auf eine Ausnahmesituation hin. Alarmierend sind aber vor allem die regelmäßigen Meldungen, dass die Polizei überlastet ist. Die Polizeibeamten häufen riesige Kontingente an Überstunden an und arbeiten an ihrer physischen Belastungsgrenze. Der Einsatz im Rahmen der Flüchtlingskrise geht zu Lasten der normalen Polizeiarbeit, so dass zur Aufklärung und Bekämpfung „normaler Kriminalität“ nicht genügend Kapazitäten vorhanden sind. Die Übergriffe an Silvester in Köln, aber auch in anderen Städten, vermitteln der Bevölkerung den Eindruck, dass die Polizei die innere Sicherheit nicht mehr garantieren kann und oft hilflos ist. Klagen und Befürchtungen, dass die Polizei nicht ausreichend mit Personal ausgestattet ist, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu wahren, gibt es schon länger. Die Diskussion um „No-Go-Areas“ z.B. in Duisburg und anders gab es auch schon vor der Flüchtlingskrise. Die Nachrichten über die Ereignisse an Silvester und auch die Meldungen über Asylbewerber, die unter vielen verschiedenen Identitäten auftreten, nach Razzien vorläufig festgenommen und dann wieder freigelassen werden oder in Paris von der Polizei als Terroristen erschossen werden, wecken Ängste in der Bevölkerung. Dies gibt zum einen rechten Ideologen Auftrieb, die sich als Wahrer von Recht und Ordnung stilisieren können.

Zum anderen provoziert die Ohnmacht der Polizei, dass auch gemäßigte Bürger sich gefordert sehen, selbst für Recht und Ordnung zu sorgen. Ein Beleg dafür sind die Nachrichten, dass die Käufe von Selbstverteidigungswaffen nach Silvester erheblich zugenommen haben. Viel bedenklicher ist aber, dass sich in vielen Städten sogenannte „Bürgerwehren“ gründen. Zum Teil werden diese von Rechtsextremen initiiert, aber zum Teil finden sie auch Unterstützung in der gemäßigten Mitte des politischen Spektrums. Die Diskussion um die Bürgerwehr, die sich im Unperfekthaus in Essen gründen wollte, zeigt dies. Im Grunde ist die Gründung von Bürgerwehren vergleichbar mit den zivilgesellschaftlichen Engagement bei der Versorgung der Flüchtlinge: Bürger übernehmen gesellschaftliche Aufgaben, die der Staat nicht (mehr) erfüllen kann.

Bürgerwehren werden von Polizei und Politik zu Recht sehr skeptisch gesehen. Sie rühren an das notwendige Gewaltmonopol des Staates. Dass das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt wird, ist eine enorme Belastungsprobe für die Gesellschaft, die dauerhafte Konsequenzen haben und unsere Gesellschaft verändern kann. Zwei Alternativen sind möglich. Entweder schafft es der Staat, durch Verschärfung von Gesetzen, mehr Polizei und härteres Durchgreifen gegenüber Straftätern, aber auch gegenüber Bürgern, die das Gewaltmonopol bedrohen, den Bürgern wieder das Gefühl von Sicherheit und Wahrung der öffentlichen Ordnung zu vermitteln. Oder der Staat schafft es nicht. Dies kann dann dazu führen, dass das Vertrauen in Staat und Politik weiter erodiert, dass Bürger zunehmend glauben, selbst für Sicherheit sorgen zu müssen, und dass rechte Parteien sich dauerhaft in den Parlamenten festsetzen.
Die gegenwärtige Überforderung der Polizei und anderer öffentlicher Organe ist auch eine Folge der über Jahre betriebenen Sparpolitik. Seit Jahren gibt es den Ruf nach dem schlanken Staat, dem Abbau von Bürokratie und der Konsolidierung der Staatsfinanzen. Der Abbau der Staatsverschuldung ist sicher ein richtiges Ziel und manche staatliche Tätigkeit ist ohne Zweifel fragwürdig. Jedoch gibt es schon seit Jahren die Klage über die Überlastung der Polizei und Ängste in der Bevölkerung vor einem Rückgang der Sicherheit. Seit 1999 wurden in Deutschland wurden in Deutschland ca. 16000 Stellen im Polizeidienst abgebaut, was einem Rückgang von 5% entspricht. Bei dieser Sparpolitik spielten Überlegungen zur Resilienz offenbar keine Rolle. Sehr häufig werden Einsparungen im öffentlichen Sektor aber mit einer Steigerung der Effizienz begründet. Gerade der öffentliche Dienst steht oft unter einem Generalverdacht, ineffizient zu sein und das Geld der Bürger zu verschwenden.

Hier kommt auch die Volkswirtschaftslehre ins Spiel, in welcher Effizienz ein Kernbegriff ist, dessen Bedeutung jeder Student im ersten Semester beigebracht bekommt. Effizienz liegt vor, wenn Verschwendung vermieden wird. Gerade in deutschen Einführungslehrbüchern wird die Volkswirtschaftslehre auch als Wissenschaft über den rationalen Umgang mit Knappheit bezeichnet. Dieser rationale Umgang mit Knappheit wird auch als ökonomisches Prinzip mit seinen beiden Ausprägungen des Maximal- und des Minimalprinzips bezeichnet. Nach dem Maximalprinzip soll mit gegebenem Ressourcenaufwand ein maximaler Ertrag erreicht werden, nach dem Minimalprinzip wird ein gegebenes Ziel mit geringstmöglichem Aufwand angestrebt. Die Bedeutung der Effizienz zeigt sich auch im sogenannten „Ersten Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik“, nachdem jede im vollkommenen Wettbewerbsgleichgewicht erreichte Allokation effizient ist, und in der mikroökonomischen Prognose, wonach das Güterangebot von Unternehmen bei vollkommender Konkurrenz zu minimalen Durchschnittskosten bereitgestellt wird.
Effizienz wird von Ökonomen generell als wünschenswert betrachtet, oft mit dem Argument, dass die Verschwendung von Ressourcen weder rational noch gerecht sei. Ökonomen verbringen daher auch einen Großteil ihrer Zeit damit, Ineffizienzen zu identifizieren und nach optimalen Politiken zu suchen, die diese Ineffizienzen beseitigen. Resilienz hingegen kommt in ökonomischen Lehrbüchern und in der ökonomischen Forschung nicht vor. Dies hat vor allem methodologische Gründe. Während Resilienz in komplexitätstheoretischen Denkansätzen ein zentraler Begriff ist, ist er in Gleichgewichtsdenken der Ökonomen ein Fremdkörper. Von Resilienz zu sprechen, ist nur sinnvoll, wenn es die Möglichkeit des Übergangs eines Systems von einem stabilen Zustand in einen anderen gibt. Ökonomen sind multiple Gleichgewichte aber ein Graus und werden meist per Annahme ausgeschlossen. Wenn ein System aber per Annahme ein eindeutiges und stabiles Gleichgewicht hat, wird es nach einer externen Störung wieder dorthin zurückkehren, so dass sich die Frage der Resilienz gar nicht stellt.

Die Vernachlässigung der Resilienz in der Ökonomik ist aber ein Problem, weil sie mit dem Streben nach Effizienz im Konflikt stehen kann. Wie oben bereits gesagt, sind Robustheit und Rendundanz zwei Dimensionen von Resilienz. Ein resilientes System benötigt also hinreichend große Sicherheitsreserven, um bei einem exogenen Schock den Übergang in einen anderen Zustand zu vermeiden. Wenn man einen solchen Übergang gar nicht für möglich hält, erscheinen solche Reserven als überflüssig und ineffizient. Klassische Beispiele dafür aus dem Unternehmensbereich sind die Abschaffung von Lagerbeständen durch Just-in-time-Produktion und von Wartungsteams durch Serviceverträge mit externen Dienstleistern. In einer kurzfristigen Betrachtung, die von einer stabilen Umwelt ausgeht, sind sowohl Lagerbestände als auch Wartungsteams unnötige Kostenverursacher, da sie nicht direkt produktiv sind. Beide werden nur bei Störungen des normalen Unternehmensablaufs benötigt. Wenn man glaubt, solche Störungen entweder ganz vermeiden oder zuverlässig vorersehen zu können, braucht man die Sicherheitsreserven nicht. Im Normalfall ist dies meist auch der Fall, jedoch wird die Resilienz auch nicht im Normalfall, sondern unter außergewöhnlichen Umständen auf die Probe gestellt. Im Unternehmensbeispiel könnte dies ein Streik bei Zulieferern oder eine Störung der Logistik, z.B. durch eine unerwartete und andauernde Straßensperrung, sein. Ein Just-in-time-Produzent kann dann innerhalb kurzer Zeit gezwungen sein, seine Produktion einzustellen, weil er keine Lagerbestände oder alternativen Bezugskanäle für Inputs hat.

Unglücklicherweise haben sowohl die Marktwirtschaft als auch die Demokratie die Tendenz, die gesellschaftliche Resilienz ebenfalls zu vernachlässigen. Die Ökonomik könnte hier gegenwirken, aber das tut sie aus den erwähnten Gründen bisher nicht. Eine große Stärke der Marktwirtschaft ist, dass durch den Wettbewerb immer ein Druck besteht, Effizienzsteigerungen zu realisieren. Prinzipiell ist dies wünschenswert, aber es besteht die Gefahr, dass die Effizienzsteigerungen zulasten der Resilienz gehen. Kurzfristig können sich Unternehmen, die auf Sicherheitsreserven verzichten, einen Kostenvorteil gegenüber Konkurrenten verschaffen, die vorsichtiger wirtschaften. Politisch besteht auch wenig Anreiz, in die Resilienz der Gesellschaft zu investieren. Im politischen Wettbewerb ist es attraktiver, sogenanntes „Backloading“ statt „Frontloading“ zu betreiben, d.h. Kosten in die Zukunft zu verlagern, Erträge aber schon in der Gegenwart zu realisieren. Dieses Problem ist beim Klimawandel offensichtlich, bei dem sich die gegenwärtigen Gesellschaften sehr schwertun, heute Kosten zu tragen, damit in Zukunft Erträge durch vermiedene Kosten entstehen.

Die Volkswirtschaftslehre sollte daher dringend damit anfangen, sich mit dem Thema Resilienz zu befassen. Neben der vermutlich anhaltenden Migration gibt es eine Reihe von weiteren Gefahren, die große Belastungen für unsere Gesellschaft und Wirtschaft darstellen können. Darunter ist natürlich der Klimawandel zu nennen und aktuell auch das mögliche Zerbrechen der Europäischen Union. Das Grünbuch des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit nennt z.B. auch einen längeren Stromausfall als eine mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwartende Gefahr und Epidemien, z.B. mit dem Chikungunya-Virus. Die im Grünbuch genannten Gefahren können das öffentliche Leben und die Wirtschaft über längere Zeit empfindlich stören und stellen daher reale Herausforderungen für die Resilienz dar.

Viele Themen, die in der Volkswirtschaftslehre in der Vergangenheit als sehr positiv gesehen wurden, erscheinen in einem anderen Licht, wenn man mit Blick auf ihre Auswirkungen auf die Resilienz betrachtet. Mit Blick auf die Liberalisierung und Globalisierung der Finanzmärkte hat die globale Finanzkrise ein Umdenken erzwungen und die Vulnerabilität durch die Instabilität der Finanzmärkte offengelegt. In diesem Bereich ist man in der Volkswirtschaftslehre am nächsten am Resilienzbegriff dran, auch wenn eher von Stabilität gesprochen wird. In anderen Feldern ist man aber noch nicht so weit.

So ist es eine der Grundüberzeugungen der Ökonomen, dass freier Handel und die Globalisierung wohlfahrtsteigernd sind, weil durch die Spezialisierungsvorteile realisiert werden können. Dies ist auch so. Jedoch erhöhen die Globalisierung der Produktion und die immer feiner werdende Spezialisierung auch die Systemkonnektivität und die gegenseitige Abhängigkeit. Exportorientierte Volkswirtschaften wie die Deutsche sind stärker abhängig von internationalen Ereignissen als je zuvor. Jeder größere Wirtschaftseinbruch in China ist daher eine potentielle Bedrohung der deutschen Wirtschaft. Ähnliches gilt auch für die internationale Verfügbarkeit von Rohstoffen. Ähnlich kann man auch für den Europäischen Binnenmarkt argumentieren, der die europäischen Unternehmen und Volkswirtschaften ohne jeden Zweifel viel produktiver gemacht hat. Aktuell zeigt sich aber, dass dadurch auch die Vulnerabilität gestiegen ist. Eine dauerhafte Aussetzung des Schengen-Abkommens mit Grenzkontrollen zwischen den europäischen Staaten würde bei vielen Unternehmen, die mittlerweile in ein EU-weites Produktionsnetz eingebunden sind, enorme Kosten verursachen. Andere Gefahren, wie grenzüberschreitender Terrorismus oder die internationale Verbreitung von Krankheitserregern wie dem Zika-Virus oder SARS kommen hinzu.

Beunruhigenderweise werden zukünftige Entwicklungen oft noch ohne Resilienzüberlegungen diskutiert. So ist wird gegenwärtig allerorten von der vierten industriellen Revolution oder der Industrie 4.0 gesprochen, womit die weitreichende Vernetzung und Digitalisierung industrieller Abläufe gemeint ist. In diesen Zusammenhang passen auch die Vision vom vernetzten Autofahren oder die Vorschläge zur völligen Substitution von Bargeld durch elektronisches Geld. All diese Entwicklungen haben natürlich das Potential zu enormen Effizienz- und Produktivitätssteigerungen, aber sie erhöhen auch die Vulnerabilität, weil die Systemkomplexität und die Vernetzung steigen.

Gleichzeitig kann man feststellen, dass politische Handlungsspielräume enger werden und damit die Resilienz abnimmt. Ein Beispiel dafür sind internationale Handelsabkommen, die die nationale Souveränität beschneiden, wenn sie als Handelshindernisse gelten. Diese Diskussion wird gegenwärtig im Zusammenhang mit TTIP und seinen Auswirkungen auf Umwelt- und Sozialstandards geführt. Auch durch die Einführung des Euro und der damit verbundenen gemeinsamen Geldpolitik wurde der nationale Handlungsspielraum beschränkt, wie man während der Eurokrise schmerzlich bemerken musste. Schließlich ist die Verschuldung vieler Staaten und auch vieler deutscher Kommunen ein Problem für die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand im Krisenfall. Wenn Gebietskörperschaften schon in normalen Zeiten bis zum Tragfähigkeitslimit verschuldet sind, geraten sie bei Wirtschaftskrisen praktisch zwangsläufig in die Überschuldung und verlieren Handlungsmöglichkeiten.

All diese Themen sind weder in der öffentlichen Diskussion angekommen noch werden sie in der Volkwirtschaftslehre systematisch mit Blick auf die Resilienz erforscht. Angesichts der drohenden Gefahren – z.B. Klimawandel, Terrorismus, globale Pandemien -, die sowohl die Gesellschaft als auch die Wirtschaft bedrohen, ist beides aber dringend nötig. In der Volkswirtschaftslehre wird dies aber ohne komplexitätsökonomische Ansätze nicht möglich sein.

Mögen Sie diesen Blog?

  1. Anna Klabunde

    Wieder ein sehr interessanter Beitrag, dem ich weitgehend zustimme. Die Bürgerwehren sehe ich allerdings nicht so negativ. Neighborhoodwatch kann gut funktionieren und tut es häufig auch in ehemals gefährlichen Stadtvierteln z.B. in den USA oder in Kanada. Ich denke, hier spielt ownership und Verantwortung für die eigene Nachbarschaft eine Rolle; es ist eine Bewegung weg vom rein Privaten hin zu, idealerweise, einem größeren „Wir-achten-aufeinander“. Glücklicherweise ist Waffenbesitz bei uns viel schwerer möglich, so dass die Gefahr selbsternannter Hilfssherifs viel geringer ist. Das Engagement vieler Menschen für Zugewanderte sehe ich ähnlich; Flüchtlinge sind nicht mehr nur ein Problem, das „die Politik“ den Menschen vom Leib zu halten hat, sondern Integration ist Aufgabe von uns allen. Natürlich, und da stimme ich wieder zu, darf der Staat sich nicht auf gesellschaftlichem Engagement ausruhen. Die Aufstockung der Polizei mit finanziellen Mitteln und Personal sollte eine Priorität sein und schnell geschehen.

    Antworten
    1. MR (Post author)

      Bei den Bürgerwehren muss man, denke ich, sehr genau hinschauen, wer sich da engagiert und mit welchem Ziel. Aber selbst Nachbarschaftswehren sind aus meiner Sicht bedenklich. Diese könnten sehr schnell eine aggressive „Fremde-haben-hier-nichts-verloren“-Haltung entwickeln. Der Vergleich mit den USA hinkt aus meiner Sicht, da dort die Selbstverteidigung und das Waffentragen einen anderen Stellenwert haben als bei uns. In Europa hat man das Gewaltmonopol des Staates weitergehend akzeptiert, was ich für gut halte. Viel wichtiger ist aus meiner Sicht aber der Punkt, dass die Bürgerwehren ein Symptom des Vertrauensverlustes in den Staat und seine Handlungsfähigkeit sind. Eine größere Gefahr als in den Bürgerwehren sehe ich darin, dass ein solcher Vertrauensverlust den Boden für rechte Populisten bereitet, die versprechen, Recht und Ordnung mit starker Hand wiederherzustellen.

      Antworten
      1. fb

        Zum Thema Bürgerwehren hat die Zeit heute auch einen kleinen Erfahrungsbericht veröffentlicht:
        http://www.zeit.de/feature/buergerwehr-brandenburg-diebe-polen-fluechtlinge

        Antworten
  2. Gastleser

    Unsere Systeme sind fragil (zerbrechlich). Ein kleines Problem, eine kleine Minderheit krimineller Einwanderer, ändert das politische Spektrum, stellt das Gewaltmonopol des Staates in Frage usw. So ein System ist weder robust noch re­si­li­ent. Wir sollten unsere Systeme permanent stressen. Frau Merkel hat dies getan, indem Sie die Flüchtlinge aufgenommen hat. Ob dies klug und sinnvoll war, möchte ich nicht diskutieren, doch Stress ist seitdem genügend vorhanden und die Fehlentscheidungen der letzten Jahre sind seit einigen Wochen offensichtlich. Gegen schwarze Schwäne kann man nicht planen. Je fragiler ein System ist, um so anfälliger ist es für zufällige Ereignisse. Die EU hat permanent Stress durch die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsstaaten. Dies ist auch gut so, denn das ist der Vorteil der EU. Die EU kann schneller und effektiver (effektiv – die richtigen Dinge tun) wachsen als Großreiche. Wenn wir erst einmal effektiv sind, dann kann die Effizienz folgen und dabei den permanten Stress nicht vergessen. Vielen Dank für Ihren hochwertigen Blog.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Anna Klabunde Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wenn Ihnen dieser Blog gefällt, machen Sie ihn bekannt :-)