Wir brauchen eine neue Makroökonomik

Die makroökonomische Theorie muss sich ändern. Viele würden sagen, dass sie das nach der großen Finanzkrise ganz kräftig tut. Schließlich hat gerade die Forschung Hochkonjunktur, die versucht, die Standardmodelle der modernen Konjunkturtheorie (DSGE-Modelle) um Finanzintermediation zu erweitern. Es ist auch wahr, verglichen mit den Modellen vor der Finanzkrise, die bestenfalls rudimentäre Finanzmärkte beinhaltete, sind die heutigen Modelle kaum wiederzuerkennen. Die Lektion, dass Finanzmärkte auch für das makroökonomische Geschehen wichtig sind, hat die Volkswirtschaftslehre nachhaltig gelernt.
Aber das ist nicht mein Punkt. Wir brauchen eine methodologisch erneuerte Makroökonomik und in dieser Hinsicht hat sich seit der Finanzkrise wenig getan. Trotz aller Kritik, für die exemplarisch die harsche Attacke Willem Buiters stehen soll, zählt es im makroökonomischen Mainstream weiterhin zum guten Ton, mit dynamischen, stochastischen allgemeinen Gleichgewichtsmodellen (DSGE-Modellen) zu arbeiten. An diesen Modellen lässt sich vieles kritisieren: die Verwendung von repräsentativen Agenten, die Annahme perfekter Nutzenmaximierung, die Hypothese rationaler Erwartungen, die Behandlung von Unsicherheit als kalkulierbares Risiko, die Linearität der Modelle, aber vor allem die überragende Bedeutung des allgemeinen Gleichgewichts. Zu jedem dieser Punkte kann man Abhandlungen schreiben, und das ist ja auch geschehen. Ich werde in späteren Beiträgen auf diese Punkte zurückkommen.
Entscheidend ist, dass trotz langer und aus meiner Sicht wohlbegründeter Kritik aus dem heterodoxen Lager (Postkeynesianik, Institutionenökonomik, evolutorische Ökonomik, …) der orthodoxe Mainstream wenig Interesse hat sich auf methodologische Diskussionen einzulassen und das, was alle tun, kritisch zu hinterfragen. Wie Simon Wren-Lewis schreibt, haben die meisten Ökonomen das Gefühl, dass Methodologie sie nichts angeht. Ich halte dieses unkritische Pflegen einer Monokultur für gefährlich, weil es den Blick einengt und nur bestimmte, in diesen Modellen formalisierbare Fragen erlaubt.
Häufig wird beklagt, dass die moderne Makroökonomik zu abstrakt und mathematisch sei. Paradoxerweise hat gerade Paul Krugman, der selbst in seiner ganzen akademischen Karriere mit mathematischen Modellen gearbeitete, die übertriebene Mathematisierung in seiner mittlerweile berühmt-berüchtigten Polemik scharf kritisiert. Viele Nichtökonomen verweisen darauf, dass die Volkswirtschaftslehre durch ihre weitgehende Formalisierung dem Laien nicht mehr zugänglich ist. Dieses Argument erscheint aber eher schwach. Wer würde es gegenüber der Physik vorbringen?
Dennoch sehe ich auch ein Problem bei den vorherrschenden mathematischen Modellen in der Makroökonomik. Entgegen allem äußeren Anschein sind sie zu simpel! Im Kern sind die meisten gegenwärtigen Modelle relativ simple Optimierungsprogramme mit linearen oder linearisierten Gleichgewichtsbedingungen. Da es in der Volkswirtschaftslehre noch immer das Ideal gibt, diese Modelle soweit es nur irgend geht noch analytisch zu lösen, sind häufig starke Vereinfachungen nötig. Dadurch werden diese Modelle sehr abstrakt (was viele aber sogar als Vorteil sehen).
In welchem Sinn sind die vorherrschenden Modelle nun zu einfach? Zum einen bedingt die Linearität zusammen mit der Gleichgewichtsannahme eine zu große Stabilität. DSGE-Modellen streben per Konstruktion zu einem Gleichgewicht und können praktisch keine endogenen Krisen und Strukturbrüche erzeugen. Zum anderen gehen durch die analytisch erforderlichen Vereinfachungen viele Themen verloren, die gesellschaftlich von höchster Relevanz sind. So lässt sich anhand der üblichen Modelle nur wenig über die ganz konkrete Ausgestaltung ökonomischer Institutionen und ihrer Wirkungen sagen. Auch hat die moderne Makrotheorie notorisch Probleme mit den Fragen der Einkommens- und Vermögensverteilung und den Effekten von Armut und Reichtum auf eine Gesellschaft. Schließlich hat sie Schwierigkeiten, gesellschaftlichen Wandel abzubilden und zu analysieren.
Um solche Themen in der Makroökonomik zu behandeln, braucht das Fach neue Modelle. Dies sehen inzwischen nicht nur heterodoxe Ökonomen so, sondern auch wichtige Vertreter des Mainstreams wie Olivier Blanchard, dessen einführendes Makroökonomik-Lehrbuch eines der meistverkauften weltweit ist. In einem kürzlich erschienenen Beitrag bekennt er etwas zerknirscht, dass viele Makroökonomen vor der Krise zu sehr an ihre Modelle glaubten und das in „dunklen Ecken“ alle möglichen Arten von Nichtlinearitäten lauern. Als Konsequenz fordert er eine viel größere Modellvielfalt:

Turning from policy to research, the message should be to let a hundred flowers bloom. Now that we are more aware of nonlinearities and the dangers they pose, we should explore them further theoretically and empirically – and in all sorts of models.

Den Ansatz, den ich für vielversprechend halte, ist die Komplexitätsökonomik, die die Wirtschaft als komplexes adaptives System versteht. Daher auch der Name dieses Blog. Die Komplexitätsökonomik hat gegenüber vielen anderen heterodoxen Alternativen den Charme, dass sie zum einen auf der anspruchsvollen Mathematik der Chaostheorie und der nichtlinearen Dynamik beruht. Zum anderen hat sie mit der agentenbasierten Modellierung ein mächtiges Werkzeug zur Verfügung, mit dem die Wirtschaft wesentlich komplexer und realitätsnäher abgebildet und analysiert werden kann als mit den herkömmlichen Modellen. Damit sei nicht gesagt, dass andere alternative Ansätze nicht auch ihren Nutzen haben. Im Gegenteil vertrete ich klar die Position, dass das Fach Methodenpluralismus dringend braucht. All diese Themen werde ich in Zukunft ausführen.

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