Der Autominister

Der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt träumt den Traum vom autonomen und vernetzten Autofahren (so nachzulesen in seinem Standpunkt „Schneller autonom fahren“ in der FAZ vom 24.6.2015)
Das autonome und vernetzte Fahren ist für ihn die „nächste Große Mobilitätsrevolution“, durch die Stau und Unfälle vermieden werden könnten. Außerdem sorge sie für Wachstums- und Wohlstandschancen. All diese Verheißungen preist er mit großen Worten. Es würde wenig überraschen, eine solche Aussagen von einem Vertreter der Automobilindustrie zu hören, aber wenn der Bundesminister für Verkehr so spricht, lässt das aus verschiedenen Gründen aufhorchen.
Man könnte nun denken, dass Dobrindt nach dem Debakel mit der Ausländermaut (die im CSU-Wahlkampf zwar so hieß, aber natürlich keine ist, weil das die EU nicht erlaubt) schon an seine Zeit nach dem Ministeramt denkt und sich für eine Beschäftigung in der Automobilindustrie hübsch macht. Das wäre zwar an sich schon schlimm genug, aber da das autonome und vernetze Fahren auch ein Anliegen der ganzen Bundesregierung ist, spricht Dobrindt tatsächlich als Minister, und seine Worte geben Aufschluss darüber, wie er sein Amt versteht. Und dieses Amtsverständnis ist besorgniserregend.
Zunächst ist festzustellen, dass ein Großteil der Autofahrer laut einer Umfrage Bedenken gegenüber dem autonomen Fahren hat und nur wenig von der Idee der Vernetzung und der damit verbundenen Offenlegung persönlicher Daten hält. Damit sich vernetzte Roboterautos verkaufen lassen, müssen die potentiellen Käufer also noch überzeugt werden. Offensichtlich glaubt der Verkehrsminister der Autoindustrie bei dieser Überzeugungsarbeit helfen zu müssen. Die Wachstumschancen, die der Minister sieht, betreffen also zunächst die Marktanteile, Gewinne und vermutlich auch die Beschäftigung in der deutschen Automobilindustrie. Nun sollte die Bundesregierung aber nicht einer Branche, sondern dem Gemeinwohl verpflichtet sein. Dobrindt erwähnt auch Wohlstandschancen, von denen er aber recht eigenseitige Vorstellungen hat:

„Das Auto wird zum „Third Place“, einem weiteren Lebensmittelpunkt neben Büro und Zuhause. Das Fahren entwickelt sich von der zweckgebundenen Notwendigkeit zu einem neuen, produktiven Zeitfenster.“

Wie bitte? Das Auto als Lebensmittelpunkt? Man beachte auch die Reihenfolge der anderen Lebensmittelpunkte (sofern es überhaupt mehrere Mittelpunkte geben kann): Zuerst Büro, dann Zuhause. Hier offenbart sich das Wohlstandsverständnis des Ministers: Wohlstand ist materiell und wird durch Erwerbsarbeit erzielt. Und das selbstfahrende Auto erhöht diesen Wohlstand, weil es die produktive Zeit erhöht. Ganz abgesehen davon, dass Pendler in öffentlichen Verkehrsmitteln schon lange die Fahrzeit produktiv nutzen können, ist dieses materielle Wohlstandsverständnis überholt und entspricht nicht den mittlerweile verbreiteten postmaterialistischen Vorstellungen von einem erfüllten und reichen Leben. Es dürfte vielen Menschen mittlerweile klar sein, dass ein gutes Leben mehr umfasst als Arbeit und ein gutes Einkommen, so wichtig diese auch sind. Menschen möchten weder viel Zeit im Büro noch im Auto verbringen. Wie Umfragen ergeben, reduziert Pendeln zur Arbeit die Lebenszufrieden und die Gesundheit, und ein großer Teil der Befragten wäre sogar bereit, auf eine 10%ige Einkommenserhöhung zu verzichten, wenn sie dafür 2-3 Tage zu Hause arbeiten könnten. Um das Sozialkapital und den sozialen Zusammenhalt zu stärken, wäre es sicherlich wünschenswerter, wenn die Menschen mehr Zeit in Vereinen, Parteien oder Bürgerinitiativen verbrächten als im Auto. Und für das Wohlbefinden wäre mehr Zeit in der Natur sicher auch zuträglicher als ein Lebensmittelpunkt im Auto.
Das Thema des autonomen und vernetzten Fahrens wäre ein schöner Anlass für eine gesellschaftliche Diskussion über neue Technologien, ihre Folgen und die Prioritäten die gesellschaftlich verfolgt werden sollten. Eine solche Diskussion ist aber grundsätzlich selten und findet bezügliche des autonomen Fahrens praktisch gar nicht statt. Die Gentechnik und zunehmende Vernetzung verschiedener Kommunikationsmedien werden auf Grund möglicher Gefahren für Gesundheit bzw. den Datenschutz ein wenig diskutiert, doch das autonome Auto ist bisher kein Thema außerhalb von Fachkreisen.
Wie bei jeder anderen größeren technologischen Innovation sollte man die Frage stellen, wozu sie dient und welchen gesellschaftlichen Nutzen sie verspricht. Aus einer orthodoxen ökonomischen Sicht ist eine solche Debatte wenig fruchtbringend, weil in der Abwesenheit von externen Effekten keine Notwendigkeit staatlicher Intervention nötig ist und das Marktergebnis zeigen wird, ob es eine gesellschaftliche Nachfrage nach einer Innovation gibt oder nicht. Wenn sich ein neues Produkt oder eine neue Technologie auf dem Markt behaupten kann, stiftet sich auch einen gesellschaftlichen Nutzen und ist daher wünschenswert.
Aber so einfach ist es aus mehreren Gründen nicht.
Aus verhaltens- und komplexitätsökonomischer Sicht ist die Annahme, dass Konsumenten exogene Präferenzen haben und mit auf dieser Grundlage rationale Kaufentscheidungen treffen, sehr fragwürdig. Präferenzen ändern sich die Beeinflussung durch Staat, Unternehmen oder Interaktion zwischen Konsumenten oder auch durch Gewöhnung. Und auch die Rationalität der Käufer ist sehr stark eingeschränkt. Wenn aber Präferenzen nicht konstant sind und Kaufakte nur eingeschränkt rational sind, entfällt die Grundlage herkömmlicher ökonomischer Wohlfahrtsanalysen, so dass man nicht argumentieren kann, dass Markterfolg mit gesellschaftlicher Wohlfahrsteigerung gleichzusetzen ist.
Aber selbst wenn die üblichen neoklassischen Annahmen doch zuträfen, ist schwer zur argumentieren, dass größere technologische Transformationen keine externen Effekte verursachen. Die ökonomische Standardtheorie betrachtet meist lediglich externe Effekte von Handlungen innerhalb eines statischen Rahmens. Jedoch führt neue Technologie zu ökonomischen und gesellschaftlichen Transformationen über die Zeit hinweg, die üblicherweise von denjenigen, die die Technologie entwickelt und auf den Markt bringen, nicht berücksichtigt werden. Bei der Nutzung des Automobils entstehen traditionelle negative externe Effekte in Form von Staus, Lärmbelästigung, Leid durch Unfälle oder Umweltverschmutzung. Externe Effekte durch die transformative Wirkung sind die Beeinträchtigung der Natur und der Stadtästhetik durch Ausrichtung der Infrastruktur an den Bedürfnissen des Automobilverkehrs, Zersiedlung und Suburbanisierung und das damit verbunden Sterben ländlicher Versorgungsstrukturen. Vernetztes und autonomes Fahren löst durch die erhoffte Reduktion von Staus und Unfällen zunächst nur solche Probleme, die man ohne die individuelle Massenmobilität durch das Auto gar nicht hätte. Diese Technik ist damit ein schönes Beispiel dafür, dass sie Probleme lösen soll, die durch eine Vorläufertechnologie erst geschaffen wurden. Es ist zu erwarten, dass auch das autonome und vernetzte Fahren neue externe Effekte verursacht. Zum Beispiel werden die Vorteile des vernetzten Fahrens nur zu realisieren sein, wenn möglich viele oder gar alle Autofahren vernetzt sind. Dies wird zu einem faktischen Zwang führen, sich ein Auto zu kaufen, dass sich automatisch mit anderen vernetzt, auch wenn der Autofahrer, dass eigentlich aus Datenschutzgründen gar nicht will. Ein Transformationseffekt wird sein, dass alle Berufe, bei denen ein Kraftfahrzeug gefahren wird, wegfallen: Taxifahrer, Busfahrer, LKW-Fahrer, Fahrlehrer, … Diese Berufe erfordern ein eher geringes Ausbildungsniveau, so dass ihr Wegfall es geringqualifizierte Menschen schwieriger machen wird, eine Arbeit zu finden. Nun kann man argumentieren, dass diese Ersetzung menschlicher Arbeitskraft vielleicht wünschenswert oder auch unvermeidlich ist. Nur sollte man aus gesellschaftlicher Sicht über die Folgen diskutieren.
Ein letzter Grund, weshalb wir doch eine Debatte über den gesellschaftlichen Nutzen des autonomen und vernetzten Autos brauchen, ist, dass der Staat bei der Einführung der Technologie involviert ist, unabhängig davon, ob es dafür Gründe in der ökonomischen Theorie gibt. Zunächst wirbt der Verkehrsminister für Akzeptanz und versucht damit die Präferenzen der Bevölkerung zu beeinflussen. Der Staat hilft auch beim Errichten von Teststrecken, er muss Änderungen der Straßenverkehrs- und der Rechtsordnung in Bezug auf Haftungsfragen vornehmen, in Form des Breitbandnetzes stellt er eine benötigte Infrastruktur bereit, und er wird auch, wenn die Markteinführung bevorsteht, auch weitere erforderliche Infrastrukturmaßnahmen vornehmen, z.B. Kontroll- oder Lotsenzentren. Möglicherweise ist es ja sinnvoll, dass die Regierung dies alles tut, aber man kann auch vertreten, dass es viele andere Probleme gibt, um die er sich vorrangiger kümmern sollte. Man denke an den schlechten Zustand der bestehenden Verkehrsinfrastruktur, die mangelnde Qualität des öffentlichen Personennah- und Fernverkehrs oder die Unfreundlichkeit vieler autogerechter Städte für Fußgänger oder Radfahrer. Wenn die Regierung verstärkt diese Probleme anginge, statt sich für das autonome Auto stark zu machen, könnte man damit vielleicht auch noch viele weitere indirekte Verbesserungen der Lebensqualität erreichen. Für Umwelt wäre ein Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs möglicherweise viel besser als die Förderung des autonomen Autos. Und die belastende Zeit, die man im Stau und mit Pendeln verbringt, könnte durch fußgänger- und radfahrgerechtere Städte vielleicht stärker reduziert werden als durch vernetztes Autofahren.
All diese Aspekte sollte man dem Autominister einmal nahebringen und eine gesellschaftliche Debatte über den Nutzen und die Förderwürdigkeit des Roboterautos erzwingen.

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