In Paris kommen die Staats- und Regierungschefs der Welt zusammen, um eine neue internationale Klimaschutz-Vereinbarung auszuhandeln. Das ist wichtig, auch wenn man sehr skeptisch sein kann, dass die Vereinbarung ausreichen wird, um die Erderwärmung ausreichend zu begrenzen. Der Klimawandel ist eine gravierende Gefahr, die die Lebensgrundlage vieler Menschen zerstören kann, und daher so gut es geht begrenzt werden muss.
Leider gibt es noch andere Probleme, die das Potential haben, ähnlich zerstörerisch zu sein wie der Klimawandel, jedoch viel weniger Aufmerksamkeit in Öffentlichkeit und Politik erfahren.
Ein Team um den schwedischen Umweltwissenschaftler Johan Rockström veröffentlichte 2009 das Konzept der „planetary boundaries“ (planetarische Grenzen), das die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde beschreibt. Das Konzept versucht, diese Grenzen zu quantifizieren und die aktuelle Belastung relativ zu diesen Grenzen zu messen. Wenn durch menschliches Handeln diese Grenzen dauerhaft überschritten werden, drohen plötzliche und irreversible Änderungen des Ökosystems, wodurch die Lebensgrundlage der Menschen massiv geschädigt werden kann. Andererseits postuliert das Konzept auch, dass die Nutzung der Umwelt durch wirtschaftliches Handeln innerhalb dieser Grenzen nachhaltig und damit langfristig möglich sein könnte.
Rockström und seine Koautoren definieren neun planetarische Grenzen:
- Klimawandel
- Verlust an Biodiversität (Artensterben)
- Biogeochemische Kreisläufe von Stickstoff und Phosphor
- Versauerung der Ozeane
- Abholzung und Landnutzung
- Süßwassernutzung
- Abbau des Ozons in der Stratosphäre
- Verschmutzung der Atmosphäre durch Aerosole
- Verschmutzung durch Chemikalien
Für die Aerosolbelastung und die Verschmutzung durch Chemikalien konnten Rockström et al. noch keine Grenzwerte festlegen, wohl aber für die anderen Dimensionen. Demnach sind beim Klimawandel, beim Artensterben und beim Stickstoffkreislauf die kritischen Grenzen bereits überschritten, beim Phosphorkreislauf und der Ozeanversauerung sind die aktuellen Indikatorwerte nahe der Belastungsgrenzen.
Man kann diese Grenzen nun aus verschiedenen Gründen kritisieren. Manche Kritiker halten das Konzept für zu einfach, da ökologische Zusammenhänge zu komplex und vielfach noch nicht ausreichend erforscht sind, um sie in ein paar einfachen Kennzahlen zu fassen. Auch wird kritisiert, dass die Definition der Grenzen willkürlich sei und eine Scheingenauigkeit und Scheinsicherheit erzeuge. Andere wiederum halten die Idee für sehr nützlich, vor allem weil sie dabei hilft, gravierende Probleme effektiv zu kommunizieren und vor möglicherweise sehr schwerwiegenden Gefahren zu warnen.
So sieht das auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), weshalb auch er die Einhaltung „planetarischer Leitplanken“ fordert. Die planetarischen Leitplanken des WBGU sind fast identisch mit den „planetary boundaries“ von Rockström et al. Der WBGU empfiehlt als neue Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Substainable Development Goals, SDGs):
- Klimawandel auf 2°C begrenzen
- Ozeanversauerung auf 0,2 pH Einheiten begrenzen
- Verlust von biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen stoppen
- Land- und Bodendegradation stoppen
- Gefährdung durch langlebige anthropogene Schadstoffe begrenzen
- Verlust von Phosphor stoppen
Der Klimaschutz ist am weitesten in das öffentliche Bewusstsein vorgedrungen. Über die anderen Themen macht sich nur ein kleiner Kreis von Experten Sorgen, obwohl auch diese von zentraler Bedeutung für das Leben auf der Erde sind.
Die Versauerung der Ozeane wird vor allem durch Aufnahme von CO2 verursacht. Die Meere haben bisher etwa 30% der durch die Verbrennung fossiler Energieträger ausgelösten CO2-Emissionen aufgenommen, wodurch sich im Wasser eine schwache Säure bildet. Der WBGU berichtet, dass der pH-Wert des Oberflächenwassers bislang um 0,11 Einheiten gesunken sei, was es in diesem Ausmaß seit mindestens 300 Millionen nicht mehr gegeben habe. Die Versauerung betrifft vor allem kalkbildende Organismen wie Korallen, Muscheln und Mikroplankton und bedroht dadurch das gesamte Ökosystem Meer. Eine ungebremste Versauerung birgt nach Ansicht des WBGU ein „erhebliches Risiko weitreichender und irreversibler Veränderungen von Meeresökosystemen, was nicht zuletzt die Ernährungssicherheit beeinträchtigen dürfte“. So trügen die Korallenriffe indirekt zur Ernährungssicherung von ca. 500 Mio. Menschen bei, da sie der Lebensraum vieler für die Fischerei wichtiger Arten seien.
Ähnlich schwerwiegend ist der Verlust biologischer Vielfalt, der nach dem Konzept von Rockström et al. die globale Tragfähigkeitsgrenze schon heute um ein Vielfaches überschritten hat. Gegenwärtig findet ein Artensterben in einem Ausmaß statt, das den erdgeschichtlich großen Massensterben entspricht. In seinem Hauptgutachten von 2011 schreibt der WBGU (S 41.):
Im Vergleich zum Mittel der Erdgeschichte ist die heutige Aussterberate der Tier- und Pflanzenarten bereits hundert- bis tausendfach erhöht …. Bei den gut untersuchten Gruppen gelten große Anteile der bekannten Arten als gefährdet oder bereits ausgestorben (22 % der Säugetiere, 14 % der Vögel, 31 % der Amphibien, 28 % der Nadelhölzer und 52 % der Palmfarne …)
Nun haben viele Zeitgenossen nur schwache Gefühle für Palmfarne und finden es bestenfalls schade, wenn Eis- oder Pandabären keinen ausreichenden Lebensraum mehr haben. Als Problem, das einen selbst betrifft, sehen die meisten das Artensterben eher nicht. Das ist es aber. Das Artensterben ist aus wenigstens drei Gründen auch eine Gefahr für den Menschen. Erstens gibt es auch heute Menschen, die direkt in der und von der Natur leben, also von wilden Tieren und Pflanzen. Diese indigenen Völker nutzen Pflanzen auch als Arzneimittel. Der World Wildlife Fund berichtet, dass schätzungsweise 50.000 bis 70.000 Pflanzenarten in traditioneller und moderner Medizin genutzt werden, wovon 15.000 bereits jetzt bedroht sind. 70 bis 80 Prozent der Weltbevölkerung benötigten traditionelle pflanzliche Wirkstoffe für ihre gesundheitliche Versorgung, und auch die moderne pharmazeutische Wirkstoffforschung benötigt Artenvielfalt. Zweitens stellt die Natur dem Menschen sogenannte Ökosystemdienstleistungen zur Verfügung. Dazu zählen u.a. die Regulierung des Wasserhaushaltes, die Bestäubung von Nutzpflanzen durch Insekten, die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und die Säuberung der Luft. Eine Studie aus dem Jahr 1997 ergab, dass der Wert der Ökosystemdienstleistungen um den Faktor 1,8 über dem Wert des damaligen Weltbruttonationaleinkommens lag. Drittens sind Ökosysteme komplexe Systeme, die ihr Verhalten drastisch ändern können, wenn sie aus dem Gleichgewicht geraten. Nach einer Untersuchung sind 60% aller großen Landsäuger vom Aussterben bedroht. Ihr Verschwinden hätte dramatische Auswirkungen auf die jeweiligen Habitate: Die großen Pflanzenfresser dienen Raubtieren und Aasfressern als Nahrung, sie düngen den Boden, und verbreiten Samen über große Flächen. Man geht davon aus, dass das Aussterben großer Pflanzenfresser die Fruchtbarkeit der Böden nachhaltig reduzieren würde. Außerdem beeinflussen sie die Vegetation durch das Fressen und das Zertrampeln von Pflanzen. Dies reduziert das Ausmaß von Buschbränden. Eine ähnlich wichtige Rolle spielen Haie für die Ökosysteme der Meere. Wenn Haie verschwinden, sterben innerhalb kurzer Zeit Korallenriffe, und komplette Nahrungsketten brechen zusammen. Schließlich reduziert das Artensterben den Genpool, was zukünftige Anpassungen von Fauna und Flora an sich ändernde Umweltbedingungen erschwert.
Eine weitere große Gefahr ist die weltweite Bodendegradation. Durch Entwaldung, Überweidung, nichtnachhaltige Landwirtschaft, Bodenversalzung, Flächenversiegelung und Städtewachstum kommt es zur Degradation von Landflächen und Böden. Unter Berufung auf das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) berichtet der WBGU im Gutachten von 2011, dass der landwirtschaftlichen Produktion jährlich 20.000 – 50.000 qkm Landfläche durch Bodenerosion verloren gingen, was in etwa der Gesamtfläche Nordrhein-Westfalens entspricht. Nach Schätzungen seien von 1940 bis 1990 weltweit etwa 15% der globalen Landfläche degradiert worden. Heute sei etwa ein Drittel aller globalen Ackerflächen bereits degradiert. Der Verlust an Boden verläuft 10 bis 40 mal schneller als die Regeneration, die bis zu 500 Jahre dauern kann. Die Bodendegradation wirkt sich negativ auf den Wasserhaushalt, die Biodiversität und das Klima aus. Besonders besorgniserregend müsste aber sein, dass es Schätzungen gibt, wonach durch Bodendegradation die weltweite Nahrungsmittelproduktion in den nächsten 25 – 50 Jahren um 30% abnehmen könnte.
Dieses Risiko für die Nahrungsmittelproduktion wird durch den Verlust an Phosphor noch verstärkt. Dazu schreibt der WBGU (S. 39):
Neben Stickstoff und Kalium ist Phosphor in Form von Phosphat einer der drei Hauptbestandteile von Kunstdüngern. Hochkonzentriertes, abbaubares Phosphatgestein ist eine knappe endliche Ressource … Phosphor kann nicht, wie etwa Erdöl, durch andere Energieträger oder Stoffe ersetzt oder künstlich hergestellt werden. Zur Ernährungssicherung der Weltbevölkerung sowie für die steigende Nachfrage nach Energie und bio-basierten Produkten aus der Landnutzung sind Verfügbarkeit und Zugang zu Phosphor als Pflanzennährstoff für die notwendige Steigerung der Flächenproduktivität unverzichtbar … Seit den 1960er Jahren steigt die Produktion von Phosphat stark an. Untersuchungen gehen davon aus, dass die Nachfrage vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern weiter steigen wird. Getrieben wird die Nachfrage vor allem von der wachsenden Weltbevölkerung, steigendem Fleisch- sowie Milchproduktkonsum, der steigenden, nicht der Ernährung dienenden Pflanzenproduktion (z. B . für Bioenergie oder alsBasis für die biobasierte Wirtschaft), der Produktion von Lithium-Eisenphosphat-Akkumulatoren für Elektrofahrzeuge sowie voranschreitende Auslaugung von Böden in Entwicklungsländern … Schätzungen über die Dauer bis zum vollständigen Abbau der Phosphatgesteinsreserven schwanken zwischen 61 und 400 Jahren, wobei die niedrigsten Schätzungen die höchsten Nachfragesteigerungen enthalten; die höchsten Schätzungen enthalten keine Nachfragesteigerungen.
Schließlich ist die Belastung der Umwelt durch Schadstoffe ein unterschätztes Problem. Auch hierzu äußert sich der WBGU und sieht besondere Gefahren in den sogenannten „persistenten organischen Schadstoffen“ (persistent organic pollutants, POPs). Dies sind synthetische organische Verbindungen, die sehr giftig, mobil und langlebig sind. Zu diesen Stoffen gehören Organochlor-Insektizide wie DDT oder Chlordan, industriell hergestellte Chemikalien wie PCB oder auch Nebenprodukte von Herstellungs- und Verbrennungsprozessen wie Dioxine. Da POPs sehr mobil sind, lassen sie sich mittlerweile in entlegenen Regionen wie Bergseen und Alpengletschern und sogar in den Polgebieten nachweisen. POPs sind sehr widerstandsfähig gegenüber Photolyse und anderen chemischen und biologischen Abbauprozessen, wodurch sie sich über Dekaden in der Umwelt halten können. Sie lösen sich schlecht in Wasser, aber gut in Fett, und können sich daher gut im Fettgewebe von Menschen und Tieren ansammeln. Dies ist langfristig sehr gefährlich, da einige POPs den Hormonhaushalt stören und teilweise als krebserregend gelten. Sie können auch Schäden des Nerven-, des Immun- und des Reproduktionssystems bewirken und werden mit Hypersensitivität, Allergien und Diabetes in Verbindung gebracht. Ein weiterer, immer noch weitverbreiteter Schadstoff ist das hochgiftige Quecksilber, das sich ebenfalls über große Entfernungen verbreitet und in Fauna, Flora und schließlich im menschlichen Körper ansammelt. Quecksilber wird unter anderem bei der Herstellung von Zement, der Verbrennung von Kohle und Biomasse und der unkontrollierten Abfallverbrennung emittiert. Langlebig und mobil ist auch Plastik, das letztlich ins Meer gelangt. Kunststoffe kommen als Makro- und als Mikroplastik vor. Während die negativen Auswirkungen größerer Plastikteile auf die Meeresökologie gut untersucht sind, sind die Wirkungen von Mikroplastik weniger gut erforscht. Es gibt aber Hinweise, dass Mikroplastik Weichmacher und andere Inhaltsstoffe an die Umwelt abgibt und außerdem POPs an sich binden kann und möglicherweise für deren Transport verantwortlich ist. Auch Mikroplastik akkumuliert sich vermutlich in der Nahrungskette.
Fatalerweise bestehen zahlreiche Wechselwirkungen und Verstärkungseffekte zwischen diesen Gefahren. Der Klimawandel gefährdet die Nahrungsmittelproduktion und fördert die Landdegradation. Diese wiederum beschleunigt den Klimawandel und das Artensterben und das Artensterben vermindert die Bodenfruchtbarkeit.
Offensichtlich fällt es der Menschheit schon sehr schwer, Maßnahmen zu ergreifen, die die Erderwärmung stoppen. Wie soll man dann darauf hoffen dürfen, dass sie die anderen Probleme in den Griff bekommt? Der Klimawandel hat es wenigstens geschafft, als globale Gefahr von Politik und Öffentlichkeit anerkannt zu werden, wovon man bei den anderen Problemen noch weit entfernt ist.
Bevor man jedoch beklagt, dass die Politik so wenig unternimmt, um die Erde zu schützen, sollte man sich klar machen, dass man selbst einen erheblichen Anteil an der Zerstörung unserer Lebensgrundlage hat, wenn man einen normalen westlichen Lebensstil pflegt. Wir alle sind es, die Treibhausgase erzeugen, zum Artensterben und zur Bodendegradation beitragen und auch unseren Beitrag zur Verseuchung der Umwelt mit Schadstoffen leisten. Jede Kurzreise mit dem Flugzeug erzeugt erhebliche CO2-Emissionen, die zur Erwärmung der Atmosphäre und zur Versauerung der Ozeane führen. Die Hälfte aller Supermarktwaren enthält Palmöl, für das riesige Regenwaldflächen gerodet werden. Mit jedem Kauf von Kosmetika, Fritierfett, Keksen, Kerzen, Seifen und Waschmitteln ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man sich indirekt an Landdegradation, Ausrottung von Arten und der Schädigung des Klimas beteiligt hat. Ähnliches gilt beim Verzehr von Fleisch. Nutzvieh in Europa und den USA wird zu einem großen Teil mit Soja gefüttert, für dessen Anbau in Südamerika Regenwald gerodet wird. Und wer im Supermarkt und online einkauft, produziert große Mengen an Müll, darunter auch viel Plastik. Mit 617 kg Abfall pro Kopf lagen die Deutschland 2013 um 136 kg über dem EU-Durchschnitt. Beim Verpackungsmüll sind die Deutschen Spitzenreiter in Europa. Der Plastikmüll, der durch Verpackungen und auch die immer beliebter werdenden Einwegkaffeebecher produziert wird, kann dabei in der Regel nicht recycelt werden. So lange wir nicht bereit sind, unseren bequemen Lebensstil zu überdenken, kommen wir täglich den planetaren Leitplanken immer näher und riskieren, sie zu durchbrechen.