TTIP lohnt sich nicht

Seit Wochen wird die öffentliche Berichterstattung von der Krise in Griechenland dominiert. Das ist zwar ohne Zweifel ein wichtiges Thema, aber es nimmt viel Aufmerksamkeit sowohl auf Seiten der Journalisten als auch der Bevölkerung in Anspruch, so dass andere wichtige Themen in den Hintergrund geraten. Ein solches Thema ist die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), die gegenwärtig zwischen den USA und der EU ausgehandelt wird. Die Verhandlungen laufen bereits seit zwei Jahren und auf dem G7-Gipfel in Elmau wurde beschlossen, das Tempo zu beschleunigen und die Verhandlungen bis Ende 2015 zu einem Abschluss zu bringen. Daher erscheint es mir sehr wichtig, sich frühzeitig eine Meinung zu diesem Thema zu bilden und die Entwicklung der Verhandlungen zu beobachten.
Es wurde bereits viel über die Vorteile und die möglichen Gefahren von TTIP geschrieben, so dass ich hier nicht alles wiederholen möchte. Kritiker befürchten tiefgehende Eingriffe in die Möglichkeiten der beteiligten Staaten, wirtschaftlich und gesellschaftlich wichtige Themen im Sinne ihrer Bevölkerungen zu regulieren. Die Vereinbarungen in TTIP könnten sich auf Umwelt, Kultur, Bildung, Gesundheitsschutz und –versorgung und Arbeitsbedingungen auswirken. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen sehen eine Gefährdung demokratischer Werte, wenn solche Belange nicht mehr in nur nationalen Gesetzgebungsverfahren geregelt werden, sondern auch durch internationale Handelsverträge und Interessen von Wirtschaftsunternehmen. Solche Bedenken werden nicht nur von Aktivistenvereinigungen wie Greenpeace, attac, campact oder foodwatch geäußert, sondern auch von zahlreichen Wissenschaftlern. Ich teile viele dieser Bedenken, möchte aber eine halbwegs nüchterne Abwägung versuchen.

Ökonomen sind gewohnt und dafür ausgebildet, Kosten-Nutzen-Abwägungen vorzunehmen. Leider sind Kosten-Nutzen-Abwägungen in der Realität viel schwieriger als in theoretischen Modellen. Außerdem gibt es in empirischen Kosten-Nutzen-Analysen häufig systematische Verzerrungen, weil es sehr schwierig ist, nicht-ökonomische Kosten und Nutzen zu erfassen und zu monetisieren. Mir scheint dies auch in der Beurteilung von Handelsliberalisierungen so zu sein, die die meisten Ökonomen grundsätzlich befürworten. Üblicherweise wird in solchen ökonomischen Analysen versucht, die Effekte einer Handelsliberalisierung auf ökonomische Größen wie Beschäftigung, Bruttoinlandsprodukt oder verfügbares Einkommen der privaten Haushalte zu schätzen. Viel seltener erfolgen Abschätzungen der Auswirkungen auf die Umwelt, z.B. in Form von erhöhten CO2-Emissionen und der damit verbundenen Klimaschädigung, und praktisch nie eine Bewertung der Effekte auf kulturelle, demokratische oder soziale Werte. Auch bei der Beurteilung von TTIP ist das so.
Das Hauptargument für das Abkommen ist, dass durch den Abbau von Handelshemmnissen der Handel zunehmen wird. Dies soll in beiden Märkten den Wettbewerb erhöhen, wodurch es zu Effizienz -und Produktivitätssteigerungen kommt. Der Abbau von Zöllen und bürokratischen und regulatorischen Handelshemmnissen setzt außerdem Ressourcen in Unternehmen frei, die diese für Investitionen nutzen können. Damit kann auch eine Zunahme der Beschäftigung verbunden sein. Für die Konsumenten wird erwartet, dass die Auswahl an Produkten steigt und die Preise durch den erhöhten Wettbewerb sinken. Wenn Unternehmen Effizienz- und Produktivitätsverbesserungen erzielen können, können Gewinne und Löhne steigen, was zu höheren Einkommen führt.
Zur Abschätzung dieser Vorteile hat die EU-Kommission 2013 beim Centre for Economic Policy Research (CEPR) in London eine mittlerweile sehr bekannte Studie in Auftrag gegeben. Das Ergebnis dieser Studie ist gewissermaßen die offizielle Einschätzung der EU-Kommission, welche makroökonomische Effekte zu erwarten sind.
Wie jede ökonomische Studie kann man die Untersuchung des CEPR in vielfältiger Weise kritisieren. Ein Einwand ist, dass das verwendete CGE-Modell permanente Vollbeschäftigung unterstellt und daher keine Aussage zu Beschäftigungswirkungen machen kann. Ein anderes Problem ist, dass in der Studie missverständlich ist, ob die berechneten Effekte einmalig oder regelmäßig auftreten und daher von Befürwortern mit „geschönten“ Zahlen argumentiert wird (vgl. ZEIT, FAZ).
Aber nehmen wir einmal an, dass die Ergebnisse halbwegs verlässlich sind. Die CEPR-Studie rechnet damit, dass durch TTIP ein vierköpfiger EU-Haushalt 545 EUR mehr zur Verfügung haben wird als ohne TTIP. Es gibt nun ein wenig Verwirrung darüber, wann und wie oft dieser Zuwachs auftreten soll. Die Studie simuliert, dass dieser Zuwachs bis 2027 entsteht, aber nicht als regelmäßiger jährlicher Zuwachs. Ich interpretiere die Studie so, dass sich ab der Implementierung von TTIP jedes Jahr das Einkommen um einen bestimmten Betrag höher liegen wird als es im Basisfall ohne TTIP wäre. Dieser Betrag erreicht 2027 die besagten 545 EUR pro Haushalt. Ab dann bleibt die Differenz so. Es gibt durch TTIP also keine regelmäßigen Zuwächse von Jahr zu Jahr, sondern einen sich über die nächsten Jahre aufbauenden Niveaueffekt im Vergleich zur Situation ohne TTIP. Da die Auswirkungen einer Handelsliberalisierung Zeit benötigen, ist die Differenz in den ersten Jahren geringer. Die zusätzliche Kaufkraft entsteht durch erwartete Einkommenserhöhungen und Preissenkungen.
545 EUR mehr für jede Familie in der EU sind nun ja eigentlich eine schöne Sache. Aber wie erwähnt muss man sie mit möglichen Kosten vergleichen. Leider haben wir keine in Geld ausgedrückte Schätzung der möglichen Kosten. Es ist völlig klar, dass erhöhter Handel zu mehr Frachtverkehr führen wird. Auch ohne TTIP wird von der OECD bis 2050 mit einer Vervierfachung des internationalen Frachtverkehrs gerechnet. Damit sind CO2-Emissionen verbunden, die die internationalen Klimaziele bedrohen. Ein Freihandelsabkommen, dessen Zweck ja die Ausweitung des Handels ist, wird also auf jeden Fall zusätzliche Kosten durch negative Auswirkungen auf das Klima verursachen. Da der Preis für fossile Treibstoffe die Umwelt- und Klimakosten nicht enthält, liegt eine Externalität vor. Daher sind bereits jetzt die gesamtwirtschaftlichen Kosten des internationalen Handels größer als die privaten Kosten, so dass das Handelsvolumen schon jetzt zu groß sein dürfte. Daher wäre eigentlich eine Einschränkung des Handels notwendig und nicht eine weitere Ausweitung.
Mit 545 EUR im Jahr kann sich eine vierköpfige Familie gerade so einen zweitägigen Besuch mit Übernachtung im Phantasialand gönnen (für das Disneyland in Paris reicht es nicht). 545 EUR pro Familie und Jahr entsprechen 11,35 pro Person und Monat. Damit könnte die Familie gerade eben einmal pro Monat zusätzlich Pizza essen gehen. Lohnt sich das? Wir haben keine Schätzung der Kosten von TTIP, sehen uns also mit Unsicherheit konfrontiert. Man könnte die Situation also auch andersherum interpretieren. TTIP verursacht Risiken für das Klima, die Umwelt, die Demokratie. Die möglichen Kosten dieser Risiken kennen wir nicht. Aber ein Verzicht auf diese Risiken kostet jeden EU-Bürger 11,35 EUR im Monat, was einer Pizza und einer Cola im Restaurant entspricht. Eine Versicherung gegen kombinierte Klima-, Umwelt- und Demokratierisiken wäre mir diesen Betrag wert. Das bedeutet aber, dass sich TTIP aus dieser Sicht nicht lohnt.

Mögen Sie diesen Blog?

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wenn Ihnen dieser Blog gefällt, machen Sie ihn bekannt :-)