Guter Journalismus geht anders

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung attackierte in ihrer Druckausgabe am 8.5. die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks für ihren in den Bundestag eingebrachten Entwurf zur Verschärfung des Fracking-Gesetzes. In einem Kommentar im Wirtschaftsteil schreibt Heike Göbel zu Hendricks Aussage, dass Fracking in Deutschland weder gebraucht werde noch wirtschaftlich interessant sei:

„Hendricks‘ Worte sind ein Affront gegenüber dem Koalitionspartner, und sie zeigen das Drama der bornierten deutschen Energie- und Klimapolitik: Man schließt Technologie um Technologie nach Gutdünken aus und verhindert so Innovationen, die Kosten und Emissionen senken könnten. Wenn dieser Klimaschutz nun dem Koalitionsklima gefährlich wird, muss man das nicht bedauern.“

Direkt daneben findet man den Aufmacher des Wirtschaftsteils mit dem Titel „Der hohe Tribut der Energiewende“. Darin berichten Heike Göbel und Carsten Knop von den Schwierigkeiten, mit denen Siemens und Eon auf Grund der Energiewende zu kämpfen haben. Dies wird verknüpft mit einer Zusammenfassung eines Beitrags des dänischen Politologen Björn Lomborg, der die deutsche Klimapolitik für gescheitert hält. Diesem Gastbeitrag („Deutschlands gescheitete Klimapolitik“) ist dann die ganze folgende Seite gewidmet. Die Autoren verknüpfen den Beitrag Lomborgs mit dem Vorstoß der Bundesumweltministerin zu Einschränkung des Frackings in Deutschland und erwähnen, dass Siemens im Fracking Chancen für seine gebeutelte Energiesparte sieht. Dabei wird auf die USA verwiesen, wo Fracking zu einem Energieboom geführt hat.

Was stört mich nun an dieser journalistischen Vorgehensweise?

Zunächst finde ich es problematisch, dass in drei Beiträgen auf fast anderthalb Seiten dieselbe, einseitige Meinung vertreten wird. Der Aufmacher vermischt Meinung und Bericht und enthält praktisch nur die Argumente des nachfolgenden Gastbeitrages.

Im Aufmacher wird unsauber argumentiert. Wirtschaftliche Probleme der Unternehmen in der Energiebranche sind kein Beleg für ein Scheitern der Energiewende. Dies gilt vor allem für die Energieversorger, deren Investitionspolitik der letzten Jahre zeigt, dass sie alle politischen Diskussionen über eine Reduktion der CO2-Emissionen nicht ernstgenommen haben. Dass sie durch den plötzlichen Atomausstieg der Bundesregierung überrascht wurden, kann man ihnen nicht vorwerfen, wohl aber den Aufbau und Erhalt von Überkapazitäten in der Stromerzeugung durch Kohle und das Versäumnis, ihre Portfolios zu diversifizieren. Wenn es das Ziel der Energiewende ist, den Anteil der Stromproduktion aus fossilen Quellen zu verringert, ist ein Strukturwandel in der Energiebranche unvermeidlich.

In seinem Gastbeitrag argumentiert Björn Lomborg, dass die deutsche Energiewende sehr kostspielig und unwirksam sei. Dieser Gastbeitrag ist das größte Ärgernis der Berichterstattung. Über Lomborg schreibt die FAZ:

Björn Lomborg will die Welt zu einem besseren Ort machen. Der 50 Jahre alte dänische Politologe und Statistiker setzt auf die Überzeugungskraft der Zahlen. 2004 lud er renommierte Ökonomen nach Kopenhagen ein, um herauszufinden, wo die knappen Entwicklungsmilliarden die größte Wirkung erzielen im Kampf gegen Hunger, Krankheit und Armut. Blauäugigen Klimaschützern rechnet er vor, wie wenig die Milliardensubventionen für die Erneuerbaren für das Weltklima erreichen.

Das klingt sehr seriös („will die Welt zu einem besseren Ort machen“) und kompetent („der Statistiker setzt auf die Überzeugungskraft der Zahlen“). Was die FAZ aber verschweigt, ist, dass Lomborg in der Wissenschaft äußerst umstritten ist. 2001 erregte er Aufsehen mit seinem Buch „The Skeptical Enviromentalist“, in dem er die Bedeutung des Klimawandels relativiert. Eine Gruppe von Klima- und Umweltforschern beschuldigte Lomborg der wissenschaftlichen Unredlichkeit, woraufhin die dänischen Komitees zur Wissenschaftlichen Unredlichkeit, die dem dänischen Wissenschaftsministerium unterstellt sind, eine formale Untersuchung durchführten. Das Ergebnis dieser Untersuchung war, dass Lomborgs Buch wissenschaftlich unredlich ist, weil es wissenschaftliche Fakten falsch darstelle, Lomborg selbst aber nicht schuldig sei, da er kein Experte in den relevante Wissenschaftsgebieten ist. Eine detaillierte Auflistung der Fehler hat der dänische Wissenschaftler Kåre Fog erstellt.

Lomborgs Text hinterlässt auch ohne diesen Hintergrund einen unguten Eindruck. Zunächst versucht er die Bedeutung der erneuerbaren Quellen für die weltweite Energieversorgung zu relativieren. Nach Daten der Internationalen Energieagentur lag der Anteil der erneuerbaren Energien an der weltweiten Energieversorgung bei 13,2%, wobei der Löwenanteil aus schädlicher Biomasse, Holz und Pflanzenmaterial stamme. Aktuelle Zahlen des Renewable Energy Policy Network for the 21st Century sehen den Anteil der Erneuerbaren am Energieverbrauch bei 19% und an der Produktion bei 22,1 %:

EnergiequellenQuelle: REN21, Renewables 2014 Status Report, http://www.ren21.net/Portals/0/documents/Resources/GSR/2014/GSR2014_KeyFindings_low%20res.pdf, Seite 14

Zudem kann danach keine Rede davon sein, dass der Löwenanteil aus schädlicher Biomasse stammt (9% gegenüber 10% aus modernen Erneuerbaren). Auch seine Behauptung, dass die Welt nur 0,4% ihrer Energie aus Solar- und Windkraftanlagen beziehe, ist so nicht richtig. In Bezug auf die industrielle Energieproduktion haben Wind- und Solarenergie einen Anteil von 3,6%, was einen Anteil von ca. 0,75% am Gesamtverbrauch darstellt. Das ist zwar auch gering, jedoch fast doppelt so hoch wie von Lomborg behauptet.

Mit Bezug auf nicht weiter genanntes „Standardklimamodell“ behauptet er reißerisch, dass die 100 Milliarden Euro, die Deutschland an Subventionen für die Solaranlagen ausgebe, „die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts um 37 Stunden verzögern“ werde. Ich möchte hier gar nicht die Förderung der Photovoltaik in Deutschland verteidigen, die ökonomisch tatsächlich sehr fragwürdig ist. Was mich stört, ist die polemische und nicht nachvollziehbare Argumentation. Wie kommt Lomborg auf seine Zahlen? Welche Modelle verwendet er? Wo kann man seine Berechnungen nachlesen?

Als nächstes weist er darauf hin, dass Deutschlands Beitrag zur Reduktion der Treibhausgase im globalen Maßstab sehr gering sei und es viel stärker darauf ankomme, was in China geschieht. Es ist unbestreitbar, dass China viel mehr Emissionen verursacht als Deutschland. Aber das ist kein Argument gegen Anstrengungen ist Deutschland. Zudem erscheinen auch hier seine Zahlen merkwürdig. Er behauptet, dass nach Daten der Energieagentur China „unbedeutende 0,28% seiner Energie aus Windkraftanlagen“ beziehe. Aus dem Jahresbericht 2012 der IEA Wind der Internationalen Energieagentur geht aber hervor, dass China 2012 weltweit die größten Kapazitäten in der Windenergieerzeugung hatte und 2% seiner Stromnachfrage aus dieser Quelle deckte.

Der fragwürdigste Punkt des ganzen Beitrages ist aber sein Lob des Fracking in den USA:

Und aktuell erleben wir ein hervorragendes Beispiel, wie Innovationen CO2-Emissionen senken können. Die Schiefergasrevolution in den Vereinigten Staaten wurde ermöglicht, weil die amerikanische Regierung in den vergangenen drei Jahrzehnten knapp zehn Milliarden Dollar in Forschung und Entwicklung investiert hat. Dank Fracking wurden die Gaspreise gesenkt, schmutzige Kohle durch weniger umweltschädliches Gas ersetzt und die CO2-Emissionen 2012 um rund 300 Millionen Tonnen gesenkt. Das ist mehr als dreimal so viel, wie die teuren Windkraft- und Solaranlagen in allen EU-Staaten jährlich einsparen. Und während die EU jedes Jahr circa 40 Milliarden Euro zur Förderung von Sonnen- und Windenergie ausgibt, bringt der technologische Durchbruch bei Schiefergas in den Vereinigten Staaten 260 Milliarden Euro im Jahr an Einnahmen. Hier wird das Potential für Durchbrüche beim Klimaschutz deutlich, wenn die Politik die Notwendigkeit von Innovationen erkennt.

In dieser Argumentation sind mehrere Aspekte abenteuerlich. Zum einen muss es angesichts des weltweiten Klimaziels darum gehen, massiv aus den fossilen Energieträgern auszusteigen. Es kann daher langfristig gar keine Option sein, Kohle durch Erdgas zu ersetzen. Zudem haben die USA die Kohle auch gar nicht durch das Schiefergas ersetzt. Zwar verbrauchen die Amerikaner weniger Kohle. Dafür exportieren sie aber Kohle wie nie zuvor, was dann aber in den CO2-Bilanzen anderer Länder auftaucht. Der gewichtigste Fehler ist aber die Behauptung, Schiefergas sein weniger umweltschädlich als Kohle. Ganz abgesehen von den möglichen Auswirkungen auf das Grundwasser sind die Klimawirkungen des Schiefergases nicht besser als die der Kohle. Es ist richtig, dass Schiefergas weniger CO2 erzeugt als die Verbrennung von Kohle. Jedoch wird bei der Förderung von Schiefergas Methan freigesetzt, dessen Treibhauseffekt bis zu 100-mal stärker ist als der von Kohlendioxid. Selbst kleine Mengen an freigesetztem Methan können daher die scheinbar bessere Klimabilanz des Erdgases zunichte machen.

Die FAZ positioniert sich hier klar für Fracking und die Interessen von Siemens und unterschlägt wichtige Informationen. Einem sehr umstrittenen Wissenschaftler unkommentiert so viel Raum zu geben, ist nicht das, was ich mir unter ausgewogenem Journalismus vorstelle.

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  1. Förster

    Leute, ihr vergleicht permanent Äpfel und Birnen. Lomborg redet über Primärenergie, ihr über Strom. Das ist nicht dasselbe! Wenn Lomborg i.B. zu China schreibt,“…0,28% seiner Energie…“, dann meint er den Anteil an der Primärenergie, nicht an der Stromerzeugung! Und Ihr schreibt dann „…2% seiner Stromnachfrage..“. Wenn man keine Ahnung hat, soll man lieber nichts schreiben zu diesem komplexen Thema! Google erstmal zum Thema Primärenergie, Endenergie, Strom…, dann schreiben.

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    1. MR (Post author)

      Danke für den Hinweis. Dass Lomborg über Primärenergie spricht, kann man zwar vermuten, aber nicht direkt aus dem Artikel herauslesen, da er es nicht sagt. Es ist nicht zwingend, dass die Primärenergie eine angemessenere Bezugsgröße sein soll als die Endenergie bzw. im Zusammenhang des Artikels der Stromverbrauch. Lomborg passt es natürlich in den Kram, die Primärenergie zu nehmen, da er dadurch die verwendeten Zahlen möglich klein machen kann.

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